ERNST JANDL

Ernst Jandl und das Experiment

Wie fragwürdig der Begriff "Experiment" auch sein mag, um die Texte näher zu beschreiben, die seit 1957 von Jandl stammen - die Vorstellung, dass Jandl ein experimenteller Schriftsteller sei, hat sein Bild in der Öffentlichkeit ganz entscheidend geprägt. Das hängt damit zusammen, dass er mit seinen Sprechgedichten weit über den kleinen Kreis von Lyrikkennern hinaus bekannt wurde. Aber wer Jandl nicht vom verspäteten zweiten Start seiner literarischen Biographie verfolgt hat, für den besitzt das Wort "experimentell" dennoch etwas außerordentlich Einleuchtendes. Selbst von formal unauffälligen Gedichten wird dieser Eindruck geweckt, der zumindest insofern nicht in die Irre führt, als auch in diesen Versen Jandls erschüttertes Vertrauen in traditionelle Gedichtformen zu spüren ist, das alle seine Gedichte kennzeichnet, gleichgültig wie weit weg sie sich von konventionellen Formen bewegen bzw. wie nahe sie traditioneller Lyrik kommen. Mit den Experimenten ab 1956 entdeckt Jandl für sich die Freiheit, sich der Formen zu bedienen, die er für angemessen hält: Entweder die Sprache in ihre Einzelteile zu zerlegen und mit Silben, Buchstaben und Lauten zu arbeiten oder konventionellere Formen zu verwenden, da er davon überzeugt ist, dass er nur auf diesem Weg zu dem angestrebten Gedicht gelangt. Nur ein Kriterium zählt für ihn: das Ausdrucks-Experiment, das jedes Gedicht für ihn in seinem Kern darstellt, soll zu einem guten Ende gebracht werden. Alle anderen Überlegungen (und im Grunde selbst das Denken in einem Begriffspaar wie Experiment / Konvention) haben sich dem unterzuordnen.

Textauszug aus a komma punkt

Fotos

Gedichte

»Manifest«

Wir protestieren mit allem nachdruck
gegen das makabre kasperltheater
welches bei wiedereinführung einer
wie auch immer gearteten wehrmacht
auf österreichischem boden
zur aufführung gelangen würde...

Wie alle haben noch genug
vom letzten und -
diesmal sei es ohne uns!!

Es ist eine bodenlose frechheit
eine unverschämtheit sondersgleichen
zehn jahre hindurch
antimilitärische propagande zu betreiben
scheinheilig schmutz und schund zu jaulen
zinnsoldaten und indianerfilme
(noch kleben die plakate ...)
als unmoralisch zu deklarieren -
um dann
im ersten luftzug einer sogenannt
endgültigen freiheit
die kaum schulentwachsene jugend
an die dreckflinten zu pressen!
das ist atavismus!!!
das ist Neanderthal!!!
Das ist vorbereitung
zum legalisierten menschenfressertum!!!

Wir rufen euch alle auf:
wehrt euch gegen diese Barbarei!
lasst euch nicht durch radetzky-
deutschmeister und kaiserjägermarsch
aug und ohr auswischen ...
pfeift auf den lorbeer...
und lasst ihn den linsen!!
denkt daran
welche ehre es für Österreich
bedeuten würde
bliebe es wie bisher
der einzige staat der welt
der diese unsägliche trottelei
den anderen dümmeren überlässt!!
genau so wie sich der kannibalismus
der urmenschen und höhlenbewohner
überlebt hat
muss nun endlich auch die soldatenspielerei
der vergangenheit überantwortet werden!!

(Jandls Manifest gegen die Wiederbewaffung Österreichs, 1955)

»der künstliche baum«

fruchtfruchtfrucht fruchtfruchtfrucht

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fracht

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fracht

fracht

fracht

fracht

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fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

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fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

frucht frucht

frucht fruchtfrucht

frucht fruchtfruchtfrucht

fruchtfruchtfrucht frucht frucht

fruchtfruchtfrucht fruchtfruchtfrucht

(Gedicht in »der künstliche baum«)

»voyeur«

schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun

(in: »der künstliche baum«)

Hörproben

»ottos mops«
00:00
»etude in f«
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Videos